Kommunale Fragen

Kommunalwahlrecht: Experten geben grüner Kritik Recht

Bei einer Anhörung im Innenausschuss erteilten die Sachverständigen dem Vorhaben der CSU-Fraktion, bei den Kommunalwahlen zum Stimmauszählungsverfahren D’Hondt zurückzukehren, eine klare Absage

19. Oktober 2017

 

Die umstrittene Änderung des Kommunalwahlrechts dürfte nun endgültig vom Tisch sein. Im Rahmen einer Anhörung im Innenausschuss, die auf unserer grünen Initiative stattgefunden hatte, erteilten Sachverständige dem Vorhaben der CSU-Fraktion, bei den Kommunalwahlen zum Stimmauszählungsverfahren D’Hondt zurückzukehren, eine klare Absage. Strukturell bedingt führt das Verfahren nämlich zu Ergebnissen, die verzerrend sind und, verglichen mit den anderen gängigen Verfahren, am meisten vom Idealrahmen abweichen. Tendenziell werden größere Parteien begünstigt, während kleinen Parteien und Wählergruppen ein Sitz in den Gremien verwehrt bleibt. Das wurde von Expertenseite einstimmig bestätigt. Ohnehin findet dieses Verfahren mittlerweile nur noch in zwei Bundesländern Anwendung.

Die CSU begründet einen Wechsel von Hare-Niemeyer zu D’Hondt mit der zunehmenden Zersplitterung der kommunalen Gremien und damit verbundenem Erstarken „populistischer“ Parteien. Dadurch werde die Arbeitsfähigkeit der Räte erheblich eingeschränkt. Der von uns Grünen benannte Experte Prof. Dr. Matthias Rossi, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Augsburg, hält einen Wechsel von einem zum anderen Verfahren verfassungsrechtlich für problematisch. Weil nämlich D’Hondt in erheblich stärkerer Weise die Erfolgswertgleichheit der Wähler und die Chancengleichheit der politischen Parteien beeinträchtigt, bedarf es sachlicher Gründe, um den Wechsel weg von Hare-Niemeyer, das sich in der Praxis bewährt hat, zu rechtfertigen. Würde der Wechsel mit der von der CSU obendrein beabsichtigten Abschaffung der Listenverbindungen, welche die Nachteile kleiner Parteien von D’Hondt kompensiert, einhergehen, würden die kleinen Parteien sogar in doppelter Hinsicht benachteiligt werden. Die Begründung des CSU-Antrags sei dafür aus mindestens zwei Gründen nicht ausreichend. Weder das Erstarken sog. „populistischer“ Parteien noch der Schutz der Kommunalparlamente vor „über Gebühr erschwerten Arbeit“ sei mit Zahlen belegt oder überhaupt messbar.

Die vom Landeswahlleiter vorgelegten Zahlen lassen zumindest auf keine übermäßige Fragmentierung der Räte schließen. Zwar sprechen auch die kommunalen Spitzenverbände von einer Zunahme der in den Räten vertretenen Gruppierungen. Dies spiegle letztendlich aber auch die zunehmende Pluralität von Ansichten und Meinungen und sei zudem von den Bürgerinnen und Bürgern gewollt. Vielerorts werde ein zunehmender administrativer Aufwand und schwerfälligere Meinungsbildung festgestellt, dennoch könne von einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der kommunalen Gremien keine Rede sein. Das deckt sich mit der Vielzahl von Resolutionen auf allen kommunalen Ebenen, die sich ebenfalls für die Beibehaltung von Hare-Niemeyer aussprechen.

Aus mathematischer Sicht würde das Sitzzuteilungsverfahren „Sainte-Laguë-Schepers“, das seit 2009 auch bei Bundestagswahlen Anwendung findet, den Wählerwillen bestmöglich abbilden und würde damit die verfassungsrechtliche Vorgabe der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen am nächsten kommen, erläuterte der Deggendorfer Mathematik-Professor Johannes Grabmeier anhand von Rechenbeispielen. Dem Urteil schlossen sich auch mehrere Staats- und Verfassungsrechtler an, wobei auch dieses Verfahren, genauso wie Hare-Niemeyer, nicht frei von Nachteilen sei. Ohnehin zeige ein Vergleich, dass das Verfahren in den meisten Fällen zur gleichen Sitzverteilung wie Hare-Niemeyer führe.

Auch was die Einführung einer Sperrklausel bei Kommunalwahlen betrifft, meldeten die Sachverständigen ihre verfassungsrechtlichen Bedenken an. Kleinen Parteien und Gruppierungen könnten auch hier Wahlrechtsgleichheit sowie Chancengleichheit beschnitten sehen. Zulässig wäre eine solche allenfalls, wenn der Gesetzgeber konkret darlegen könnte, dass die Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane gefährdet sei. In Nordrhein-Westfalen, das 2016 eine 2,5 Prozent-Hürde für Kommunalwahlen eingeführt hat, steht diese gerade womöglich auf der Kippe. Dazu ist in Kürze ein richtungsweisendes Urteil zu erwarten.

Nach der Anhörung kann für unseren kommunalpolitischer Sprecher Jürgen Mistol jedoch alles beim bewährten Verfahren Hare-Niemeyer bleiben. „Dass man populistische Parteien dadurch im Zaum hält, dass man das Sitzzuteilungsverfahren ändert – also da muss man sich schon andere Strategien einfallen lassen. Nach der für die CSU-Fraktion vernichtenden Kritik der Experten an D’Hondt, ist eine Rückkehr zu diesem Verfahren ohnehin ausgeschlossen. Will sie stattdessen wie angekündigt die Einführung von 'Sainte-Laguë-Schepers' als Kompromiss, werden wir uns Gesprächen nicht verschließen. Einfacher wäre es jedoch, die CSU zieht ihren Änderungsantrag zurück, und es bleibt wie gehabt."