Katharina Schulze

Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag

#noPAG

Grüne klagen gegen das Polizeiaufgabengesetz (PAG)

6. Juni 2018 in Im Parlament, Unterwegs |

Katharina Schulze reicht die Klage beim Verfassungsgerichtshof ein.

Katharina Schulze reicht die Klage beim Verfassungsgerichtshof ein.

In Bayern gibt es so wenig Kriminalität wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die BürgerInnen leben weitgehend sicher. Dennoch hat die CSU der Polizei mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz deutlich mehr Befugnisse gegeben. Die Folge: Die Freiheit der Menschen wird massiv eingeschränkt, die Bürgerinnen- und Bürgerrechte werden beschnitten. Wir haben heute Klage eingereicht!

Nachdem dieses verfassungswidrige Gesetz von der CSU durchgeboxt wurde, führt an einer gerichtlichen Auseinandersetzung kein Weg vorbei. – Katharina Schulze

Kein Gesetz der CSU-Regierung ist in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung auf derart heftigen Widerstand gestoßen, wie die zweite Novelle des Polizeiaufgabengesetzes (PAG).  Die CSU hat das PAG gegen die berechtigte Kritik aus Fachkreisen und der Zivilgesellschaft durchgedrückt. Und zwar nicht, weil wir in Bayern ein Sicherheitsproblem hätten, die Kriminalitätsstatistik spricht hier eine deutliche Sprache. Es geht einzig und allein darum, dass sich die CSU  Vorteile im Wahlkampf verspricht. Doch dieses Kalkül könnte sich angesichts der massenhaften Proteste quer durch alle Bevölkerungsschichten als trügerisch erweisen. Denn auch nach der Verabschiedung des Gesetzes reißt der Protest gegen den Überwachungswahn der CSU nicht ab. Selbst viele PolizistInnen sind dagegen. Wir Grüne stehen an der Seite derer, die für ihre Freiheits- und Bürgerrechte kämpfen.

» Hier die grüne Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen das Polizeiaufgabengesetz im Wortlaut (pdf)

Warum ist das PAG-Neuordnungsgesetz (2. PAG-Novelle 2018) verfassungswidrig?

Mit dem Gesetz wurde erneut das Polizeiaufgabengesetz (PAG) geändert. Neben einigen Anpassungen an EU-Recht und der Umsetzung von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil zum BKA-Gesetz, wird die Eingriffsschwelle der Polizei abgesenkt und sie erhält eine Vielzahl an neuen Eingriffsbefugnissen, die an vielen Stellen nicht mehr mit der Verfassung vereinbar sind.

Zentraler Kritikpunkt ist der Begriff der „drohenden Gefahr“. Er wurde schon durch die 1. PAG-Novelle 2017 als neue Grundkategorie in das PAG eingeführt und kam danach bei einigen wenigen Eingriffsbefugnissen zur Anwendung. Bis dato konnte die Polizei erst dann tätig werden, wenn eine konkrete Gefahr die Gefahrenabwehr erforderlich gemacht hatte. Mit der neuen Gefahrenkategorie wurde der Tätigkeitsbereich der Polizei weit ins Gefahrenvorfeld vorverlagert. Die Einführung dieses Begriffs im Jahr 2017 ist der verfassungsrechtliche Dammbruch der CSU-Sicherheitspolitik, gegen den die Landtagsgrünen damals klar im Parlament Stellung bezogen haben und gegen den wir bereits eine Klage vor dem BayVerfGH eingereicht haben.

Mit der 2. PAG-Novelle 2018 dehnt die CSU diesen Begriff nun auf beinahe alle polizeilichen Befugnisse aus und macht die Ausnahme zur Regel. Das BVerfG hat den Begriff in seiner Rechtsprechung zum BKA-Gesetz zwar benutzt, hat seiner Anwendung aber auch klare und enge Grenzen gesetzt. Nur der Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter im Zusammenhang mit der Terrorabwehr rechtfertigt laut Karlsruhe seine Anwendung. Die CSU überträgt den Begriff ins allgemeine Polizeirecht und beschränkt sich nicht auf den engen Bereich des Terrorismus.

Die informationelle Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz weicht dadurch bedrohlich und in verfassungswidriger Weise auf.

Welche Regelungen greift unsere Klage an?

Mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz hat die Polizei von der CSU zusätzliche verfassungswidrige Eingriffsbefugnisse bekommen. Wir richten uns mit der Klage insbesondere gegen folgende Einzelbefugnisse:

DNA-Analyse, Art. 14 Abs. 3-6 und Art. 32 Satz 2 – 4 PAG

Die Polizei darf jetzt DNA-Material daraufhin analysieren, welches Geschlecht, welche Augen-, Haar- und Hautfarbe, welches Alter und welche biogeografische Herkunft (also z.B. Asiatin oder Afrikaner) der/die Spurenverursacher*in hat. Hier wird in den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit eingegriffen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung bereits klargestellt, dass solche codierten Erbinformationen nicht untersucht werden dürfen.

Durchsuchung von PCs, Speichermedien und der Cloud

Die Polizei macht jetzt keinen Unterschied zwischen der Durchsuchung elektronischen Speichermedien, also z.B. PCs oder Tabletts, und der Durchsuchung von anderen Sachen, z.B. einem Rucksack. Wenn also eine Person kontrolliert und durchsucht wird, weil die Polizei befürchtet, dass sie Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen, dann darf nicht nur ihr Rucksack durchsucht werden, sondern auch gleich das mitgeführte Notebook. Wenn die Polizei ein elektronisches Speichermedium, also z. B einen PC, durchsucht, dann darf sie jetzt auch auf die Daten zugreifen, die in der Cloud liegen. Und alles ohne Richtervorbehalt. Hier liegt ein Eingriff in den geschützten Kernbereich des Rechts auf die Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme vor (Computer-Grundrecht).

Postsicherstellung

Hierbei handelt es sich um eine neue polizeiliche Maßnahme, die einen schwerwiegenden Eingriff in das Brief- Post- und Fernmeldegeheimnis darstellt. Da sie bereits beim Vorliegen drohender Gefahr und verdeckt erfolgen kann erfüllt die Befugnis nicht die an sie gestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Drohneneinsatz zur Aufzeichnung von öffentlichen Veranstaltungen

Die Polizei darf jetzt unbemannte Luftfahrtsysteme (Drohnen) einsetzen. Sie können mit Kameras bestückt werden, um Ansammlungen zu filmen und zu überwachen. Durch moderne Kameratechnik ist es möglich, aus der Luft eine große Menschenmenge detailliert zu erfassen. Hier liegt ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit vor, da das Bewusstsein der potentiellen Beobachtung und Aufzeichnung den Betroffenen faktisch von der Ausübung grundrechtlicher Freiheit abhalten kann.

Ausdehnung des Begriffs der drohenden Gefahr auf tiefgreifende Befugnisse der Polizei

Bislang galt: Die Polizei schreitet ein, wenn es eine konkrete Gefahr gibt. Jetzt gilt: Bereits bei einer „drohenden Gefahr“ kann die Polizei tätig werden. Und zwar mit weitreichenden Befugnissen: Sage und schreibe 39 Maßnahmen stehen durch das PAG-Neuordnungsgesetz zur Verfügung – von der Online-Durchsuchung, Dauerobservation mit Ton und Bildaufnahmen, über den Einsatz Verdeckter Ermittler*innen bis zur Telekommunikationsüberwachung. Die polizeilichen Befugnisse werden ins Gefahrenvorfeld verschoben. Die breite Absenkung der Eingriffsschwelle führt dabei zu einem rechtsstaatswidrigen Eingriff in die betroffenen Grundrechte.

Ist das Gesetz verfassungswidrig, obwohl an vielen Stellen ein Richtervorbehalt besteht?

Rechtsstaatliche Defizite können nicht über Richtervorbehalte ausgeglichen werden. In der Sache nicht gerechtfertigte Grundrechtseingriffe werden nicht dadurch gerechtfertigt, dass sie vom Richter angeordnet werden. Im Übrigen: Die polizeiliche Lagebeurteilung im Hinblick auf eine „drohende Gefahr“ enthält so viele Prognoseelemente, dass nicht recht vorstellbar ist, wie ein Richter sie entkräften sollte.

Die Ausgestaltung des Richtervorbehalts im PAG geht überdies nicht mit einer Pflichtverteidigung für den Betroffenen einher. Das führt zu bedenklichen Rechtsschutzdefiziten und die Schutzfunktion der Richtervorbehalte wird dadurch entscheidend geschwächt.

Warum klagen die Landtags-Grünen vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH)?

Die Verfassung des Freistaats Bayern eröffnet den Landtagsfraktionen die Möglichkeit mittels einer sog. Meinungsverschiedenheit nach Art. 75 Abs. 3 BV vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof klären zu lassen, ob durch ein Gesetz die Bayerische Verfassung (unzulässig) geändert wurde. Es handelt sich bei dem Verfahren deshalb um eine Art abstrakte Normenkontrolle.

Was fordern wir Grüne?

  • Keine Vernachrichtendienstlichung der Polizei
  • Für die Bekämpfung der Internetkriminalität braucht die Polizei noch mehr Expertise im IT-Bereich und keine verfassungswidrigen Eingriffsbefugnisse
  • Sicherheitspolitik verlangt Augenmaß vor allem bei den polizeilichen Befugnissen, um Bürgerrechte nicht unnötig einzuschränken. Wir lehnen es ab, der Polizei im Polizeiaufgabengesetzes (PAG) Befugnisse einzuräumen, die nichts mit realen terroristischen Gefahren zu tun haben oder reine Sicherheitsplacebos sind.
  • Wir wollen die Polizei stärken und bürgernäher machen mit einem modernen Personalkonzept

» Hier die grüne Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen das Polizeiaufgabengesetz im Wortlaut (pdf)

Zigtausend Menschen protestierten – nun folgt die Klage

» Mehr zum Polizeiaufgabengesetz auf unserer Info-Seite pag-kritik.de