Jeder junge Mensch in Deutschland hat das Recht auf eine gute Ausbildung. Dieser Anspruch muss auch für Geflüchtete gelten. In einem ethnisch und kulturell vielfältigen Einwanderungsland wie Deutschland darf Herkunft nicht über Zukunft entscheiden. Junge Geflüchtete brauchen nicht nur ein Dach über dem Kopf, Essen und medizinische Versorgung, sondern auch breiten Zugang zu Bildung und Qualifizierung. Nach allen bisherigen Erfahrungen sind die meisten jungen Geflüchteten hoch motiviert, etwas zu lernen, sie wollen insbesondere die deutsche Sprache und berufliches Praxiswissen erwerben. Wenn aus der großen Herausforderung der Integration hunderttausender Schutzsuchender in Kitas, Schulen, Berufsschulen, Universitäten und Betriebe eine Erfolgsgeschichte werden soll, müssen wir jetzt die Weichen richtig stellen. Die Berufliche Bildung wird in diesem Prozess eine wichtige Rolle einnehmen. Sie bietet nicht nur grundsätzlich hervorragende Berufsperspektiven und damit die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, sondern ist wegen ihrer praxisnahen Ausrichtung zugleich auch besonders geeignet, um junge Menschen mit Fluchtgeschichte in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu integrieren.
Obwohl weitgehende Einigkeit zwischen den verschiedenen Akteur*innen der Beruflichen Bildung darüber besteht, dass ausbildungsinteressierte Geflüchtete und ausbildende Betriebe besser als bisher unterstützt werden müssen, sind die sozial- und aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen nach wie vor ungenügend. So verhindert beispielsweise die mangelhafte Regelung zum Bleiberecht während der Berufsausbildung noch immer, dass Betriebe und junge Asylsuchende und Geduldete zusammenfinden. Zugleich führt die allzu zögerliche Öffnung von Integrationskursen und berufsvorbereitenden bzw. ausbildungsbegleitenden Unterstützungsleistungen dazu, dass nur ein geringer Anteil der Geflüchteten die Möglichkeit zum Spracherwerb und sozialpädagogischer sowie fachlicher Unterstützung erhält, obwohl ein Großteil von ihnen auf absehbare Zeit in Deutschland bleiben wird. Aber auch für Jugendliche, die möglicherweise nicht dauerhaft in Deutschland bleiben, ist es wichtig, dass sie die Zeit hier nutzen, um zu lernen und eine Ausbildung zu absolvieren. Ohne passgenaue Bildungsangebote wird aber kaum ein junger Geflüchteter den Sprung in die Ausbildung schaffen.
Aus unserer Sicht ist es ist nicht nur die Aufgabe, sondern sogar die Plicht verantwortungsvoller Politik, auch jungen Menschen mit Fluchtgeschichte die Chance auf Bildung, Arbeit und eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Sprachförderung, Berufsorientierung und Berufsvorbereitung, der Zugang zu ausbildungsvorbereitenden und -unterstützenden Hilfen, betrieblichen Praktika sowie sozialpädagogischen und psychologischen Betreuungsangeboten sind aber vor allem dann erfolgreich, wenn sie gebündelt werden und im Sinne einer modularen Unterstützungsstruktur flexibel auf die jeweiligen Bedarfe der jungen Menschen reagieren können. Das Rad muss dabei nicht neu erfunden werden. Eine solche Ausbildungsvorbereitungsphase für Geflüchtete sollte vielmehr als angepasste Einstiegsqualifizierung (EQ) betriebliche Praktika mit intensiver Sprachförderung und sozialpädagogischer Unterstützung verknüpfen und allen Interessierten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus entweder parallel oder direkt im Anschluss an die Integrationskurse offen stehen.
Wir fordern bayerische Staatsregierung und Bundesregierung deshalb auf, das Recht auf Ausbildung für alle jungen Menschen in Deutschland unabhängig vom Aufenthaltsstatus umzusetzen:
- Aufenthaltsrechtliche Hürden beseitigen
Motivierten lern- und ausbildungsinteressierten jungen Menschen darf der Weg zur Fachkraft nicht durch aufenthaltsrechtliche Hürden verstellt werden. Alle Asylsuchenden und Geduldeten, die eine betriebliche oder vollzeitschulische Ausbildung beginnen, sollen deshalb für die gesamte Dauer ihrer Ausbildung und einer anschließenden Beschäftigung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Die Aufenthaltserlaubnis, welche aufgrund eines Arbeitsverhältnisses nach der Ausbildung erfolgt, soll für mindestens zwei Jahre gelten. Ein langfristig rechtlich gesicherter Aufenthaltstitel soll das Ziel sein. Dies entspricht auch dem berechtigten Interesse der Betriebe, ihre Auszubildenden nach erfolgreichem Ausbildungsabschluss weiterbeschäftigen zu können. Asylsuchenden, die bereits während ihres Asylverfahrens an der Ausbildungsvorbereitungsphase teilnehmen, muss im Falle einer negativen Entscheidung im Asylverfahren eine Ermessensduldung ausgesprochen werden können, damit sie ihren Weg in die berufliche Zukunft nicht vorzeitig abbrechen müssen. Auch für Asylsuchende, die absehbar keine Chance auf Anerkennung im Asylverfahren haben, weil sie etwa aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland kommen, ist ein „Spurwechsel“ für die Aufnahme einer Berufsausbildung zu ermöglichen.
- Sozialrechtliche Hürden abbauen
Von der Erstregistrierung bis zur Entscheidung im Asylverfahren müssen Asylsuchende oft monate-, teilweise sogar jahrelang untätig warten. Während dieser Zeit haben sie in der Regel weder Zugang zu Integrationskursen noch zu den Fördermaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit. Das ist nicht nur für die Betroffenen selbst höchst problematisch, sondern auch integrationspolitisch fatal. Um eine schnelle und umfassende Integration durch Bildung und Qualifizierung zu ermöglichen, sollen auch Asylsuchende und Geduldete von Beginn an Zugang zu allen notwendigen Sprach- und Förderangeboten erhalten.
- Beratung und Berufsorientierung von Anfang an
Jede Ausbildung beginnt mit guter Beratung. Insbesondere Ausländerinnen und Ausländer mit Fluchtgeschichte wissen oft nichts über das deutsche Berufsbildungssystem und die hervorragenden Perspektiven, die eine Ausbildung mit sich bringt. Zudem stehen viele der Geflüchteten unter dem Druck, Geld verdienen zu müssen, um ihre fluchtbedingten Schulden zu bezahlen oder ihre Familien in den Herkunftsländern zu unterstützen. Bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung sollten deshalb rechtsübergreifende Kompetenzteams aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter, Arbeitsagenturen und Jugendhilfe gemeinsam mit den Sozialpartnern umfassend über Berufsbilder, Ausbildungswege und Karrierechancen informieren und für die berufliche Bildung werben.
- Berufliche Schulen stärken
Mit den BAF-Klassen (Berufsintegrationsjahr 1 und 2) und anderen Maßnahmen leisten berufliche Schulen bereits einen wichtigen Beitrag zur schulischen Integration von schulpflichtigen Geflüchteten. Besonders für die Begleitung während der Berufsfindung und Bewerbung ist eine Ansprechperson wichtig. Hierfür werden zusätzlich Sozialarbeiter*innen benötigt, welche während des gesamten Prozesses und darüber hinaus beratend zur Seite stehen. Auch wenn es eine Berufsschulpflicht in Bayern für Geflüchtete bis zum 21. (in Ausnahmefällen bis zum 25.) Lebensjahr gibt, reicht das derzeitige Angebot allenfalls für bis zu 40 % der Jugendlichen. Das heißt, der Freistaat kommt seiner Pflicht nicht nach. Berufsschulpflicht heißt: Ein Angebot für 100 Prozent der jungen Geflüchteten schaffen. Deshalb fordern wir, die BAF-Klassen entsprechend auszubauen. Langfristig ist es zudem wichtig die BAF-Klassen, wenn notwendig, auf drei Jahre zu erweitern, wie auch von vielen Verbänden gefordert. Eine ausreichende Vorbereitung auf eine Berufsausbildung in Deutschland ist, unter anderem durch die sprachlichen Herausforderungen, nicht für alle Geflüchteten innerhalb von zwei Jahren umsetzbar. Die Lehrkräfte und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in diesen Klassen brauchen faire und dauerhafte Arbeitsverträge, die Berufsschulen müssen für ihren Aufwand besser unterstützt werden und ihre strukturelle Unterfinanzierung muss beendet werden. Deshalb brauchen wir einen Ausbauplan für besser ausgestattete berufliche Bildung in Bayern. Auch der Bund ist hier in der Pflicht und muss die Länder mit einem bundesseitigen Ausbauprogramm für die beruflichen Schulen finanziell unterstützen. Damit der Eintritt in eine berufliche Ausbildung und erfolgreiches Absolvieren einer Ausbildung gelingen, bedarf es eines entsprechenden Unterstützungsangebotes mit entsprechender Sprachförderung (u.a. Berufssprache). Dies muss von der Staatsregierung in Kooperation mit den jeweiligen Partner*innen (Arbeitsagentur, Bildungsträger, Kammern, Betrieben) eingerichtet werden.
- Sprach- und Bildungsangebote mit betrieblicher Praxis kombinieren
Junge Geflüchtete bringen sehr unterschiedliche Qualifikationen und Interessen mit. Darauf muss eine weitsichtige Förderstruktur antworten können. Erfolgreiche Projekte haben gezeigt, dass Geflüchtete und Betriebe vor allem dort zusammenfinden, wo sie über betriebliche Praktika die Möglichkeit haben, sich kennenzulernen. Um junge Geflüchtete bestmöglich auf die Ausbildung in Betrieb und Berufsschule vorzubereiten, muss deshalb das Instrument der Einstiegsqualifizierung um intensive allgemeine und berufsbezogene Sprachförderung ergänzt werden. Auch bei der konkreten Ausgestaltung der Sprachkurse sollten die ausbildenden Betriebe miteinbezogen werden. Eine solche praxisnahe Ausbildungsvorbereitungsphase muss allen Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus offenstehen.
- Arbeitsmarktzugang erleichtern
Wir müssen die Potentiale älterer oder bereits qualifizierter Geflüchtete besser erkennen und nutzen. Wir wollen eine bessere Koordinierung der Zuständigkeiten der Anerkennung von Qualifikationen. Insbesondere Teilqualifikationen und nichtformelle Qualifikationen müssen besser anerkannt werden können. Angebote für Anpassungs- und Nachqualifizierungen müssen entwickelt, ausgebaut und, wo vorhanden, deutlich verbessert werden. Arbeitsverbote während der Verweildauer in der Erstaufnahmeeinrichtung und sonstige integrationshemmende Einschränkungen, wie etwa die Wohnsitzauflage für Asylbewerberinnen und Asylbewerber oder die Vorrangprüfung sind abzuschaffen.
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